Daniela Nardmann
Das Ende der Malerei ist mittlerweile häufig beschworen und in pathetischen Abgesängen scheinbar endgültig besiegelt worden. Sie, die Sie heute Abend hierher gekommen sind, um eine Werkauswahl der Düsseldorfer Malerin Margret Roters zu sehen, können von solchen Unkenrufen allerdings durchaus ungerührt bleiben. Denn soviel darf ich gleich zu Beginn vorwegnehmen: Der erste und wohl nachhaltigste Eindruck, den Sie von den Bildern dieser Ausstellung zurückbehalten werden, ist der einer überaus kraftvollen, Funken sprühenden und lebendigen Kunst, die den Betrachter – sofern er sich ernsthaft mit ihr beschäftigt – geradezu obsessiv in den Bann zieht.
Zu ihrem Konzept von einer vitalen, Besitz ergreifenden Malerei fand Margret Roters, die an der Düsseldorfer Kunstakademie bei Prof. Cremer studiert hat, 1991. Damals nahm sie an einem Künstleraustausch teil, der sie nach Kazan in Rußland führte. Es war interessanterweise gerade die Erfahrung von Konkurrenz und enormem Leistungsdruck, die ihr zu einer ungeahnten Konzentration der eigenen künstlerischen Kräfte verhalf.
In der Folge entstanden Arbeiten, die eine radikale Auseinandersetzung mit den Basiswerten der Malerei dokumentieren. Farbe und Form werden hier in den verschiedensten Variationen an die Grenzen ihrer Möglichkeiten getrieben, die Materialität der Farbe und die Spuren des Schaffensprozesses auf dem Maluntergrund unmittelbar sichtbar gemacht.
Einige dieser Bilder entstehen in Stunden, sind Ergebnis eines geradezu automatischen Arbeitens, einer Kombination von Instinkt und Erfahrung, bei der die Künstlerin ohne vorher festgelegtes Programm auf die Impulse des stetig wachsenden Werkes antwortet. Andere Bilder brauchen Monate, manchmal Jahre, in denen sich mit zum Teil erheblichem physischen Kraftaufwand Farbschicht über Farbschicht legt. Was einmal beiseite gestellt, wo der Schaffensprozess unterbrochen wurde, muss die Künstlerin von neuem über die ganze Fläche angehen. Denn Margret Roters hat bei ihrer Arbeit, anders als etwa der Betrachter ihrer Malerei, primär das gesamte Bildfeld im Blick. Die einzelnen, ästhetisch ungemein ansprechenden und wirkungsvollen Farbpartien, die als Anziehungspunkte das Auge des Betrachters gefangen nehmen, sind deshalb stets in ein Gesamtgefüge eingebunden, das als solches wahrgenommen werden will.
Veränderungen in der Malerei von Margret Roters scheinen auf einen klaren Entwicklungsprozess hinzudeuten. Wo zunächst tonige Erdfarben mit eher zaghaftem Charakter überwiegen, schlagen dem Betrachter seit 1991 entschieden kräftigere, klarere Farben entgegen. Auch wählt die Künstlerin bei späteren und langwierigeren Arbeiten als Technik verstärkt Öl auf Leinwand, während sie bei den eruptiven Werken der Anfangszeit zumeist Acrylfarbe auf Papier vorzog. Der Duktus der mit dem Spachtel pastos aufgetragenen Farbe tritt in den verschiedenen Bildern mal weniger, mal mehr in den Vordergrund, ist je nachdem nervöser, wilder, spielerischer, ornamentaler, gedämpfter, zurückhaltender, leiser. Doch diese Veränderungen sind nicht Ausdruck einer sukzessiven Entwicklung, sondern Resultat der prozessualen Arbeitsweise der Künstlerin. Was einmal als Ergebnis erreicht wurde, kann nicht wiederholt werden, es kann nur eine Anknüpfung daran stattfinden, eine Fortführung, ein Weiterspinnen. Eine Vielfalt von Möglichkeiten eröffnet sich so vor dem Betrachter ohne starres Ziel und wertende Richtung.
Es ist nicht unwichtig, dass sich Margret Roters in diesem Prozess den Herausforderungen des Zufalls, seiner Ambiguität stellt und sie für ihre Arbeit fruchtbar macht. Ein Beispiel dafür sind etwa jene Arbeiten, in denen die Künstlerin in der gewählten Farbskala eine Beschränkung auf bestimmte Farbbereiche vornimmt; oder die monochromen Arbeiten, auf die sich Margret Roters in letzter Zeit verstärkt konzentriert. In diesen Bildern verkehrt sich der herkömmliche Schaffensprozess in sein Gegenteil: Über ein buntes Geflecht von Farben legt sich eine monochrome Farbschicht, unter der die Buntheit nur noch als Ahnung hervorscheint. Solche Werke erzählen auf besonders geheimnisvolle und poetische Weise von der Geschichte ihres Entstehens.
Unterschiedlichste Formate werden Ihnen in dieser Ausstellung begegnen, und Sie werden dabei möglicherweise mit Verblüffung feststellen, dass sich jene „Dynamische Verdichtung“, wie Margret Roters das Kraftvolle und Expressive ihrer Malerei einmal bezeichnet hat, auch in kleinere Formate hinein übersetzen lässt. Nur eines bleibt dabei konstant: Keines der Bilder dieser Künstlerin besitzt nämlich einen Rahmen, es sind offene Kunstwerke, in denen formale Gestaltung und prinzipielle Unabgeschlossenheit eine dialektische Beziehung eingehen. Eine solche „all over“-Malerei, die sehr beredten Ausdruck übrigens auch in der Verwendung ausfransender Leinwand findet, kann vom Betrachter nach allen Seiten hin weitergedacht werden, schrankenlos in Höhe und Breite. Die Grenze zwischen Werk und Betrachterraum wird damit unwiderruflich gesprengt.
Die Bilder dieser Ausstellung könnten abstrakt genannt werden. Nur wenige von ihnen – zumeist frühe – tragen einen Titel, in dem Gegenständliches einen Nachhall findet. Wenige auch zeigen Formen, die sich als Dinge deuten lassen, etwa der Papagei in einem jener Bilder aus dem Jahre 1991, die von buntem Leben nur so zu strotzen scheinen. Margret Roters ist jedoch immer mehr dazu übergegangen, ohne Bildtitel auszukommen. Ihre Malerei erschöpft sich nicht darin, abbildlich zu sein, in rationalen Diskurs transskribiert und damit obsolet zu werden. Ihre Bilder verweigern sich als Zeichen, die etwas bedeuten, vom Betrachter verstanden und dann ad acta gelegt werden. Die Malerei von Margret Roters verlangt danach, in ihrer unhintergehbaren Materialität, als Farbe, als energiegeladene Form wahrgenommen und empfunden zu werden, und zwar konkret!
Wie konkret, werden Sie feststellen, wenn Sie die Herausforderung der Bilder annehmen und den Temperamentsunterschieden der einzelnen Arbeiten nachgehen, wenn Sie die formalen und gestalterischen Differenzen mit aufmerksamem Auge für sich selbst erkunden. Sie werden dabei vielleicht in diesem oder jenem Falle an Franz Marc, an Monet, an Gotthard Graubner oder Emil Schumacher denken. Auch andere Vergleiche sind vorstellbar. Sie werden aber zugleich bemerken, dass diese Werke selbstbewusst auf ihren eigenen Wert pochen, auf sich selbst zurückweisen, eigenständig und eigensinnig sind. Ich habe deshalb keine Zweifel daran, dass Ihnen die hier ausgestellten Werke ebenso sehr eine „bunte Lust“ bedeuten wie mir.