Dynamische Verdichtung

Brigitte Lohkamp

Die Arbeiten von Margret Roters 1989 bis 1998

Selten sind ihre Bilder bunt, aus Farbenklängen komponiert wie bei Jawlensky, Kandinsky oder Klee. Ein intensives Rot, ein leuchtendes Gelb oder ein meditatives Blau bestimmen den Grundklang der einzelnen Leinwände oder Papierarbeiten von Margret Roters. Diese Farbe, in der ein Bild schwingt, setzt den Schlussakkord, ist die letzte, die oberste Ebene, unter der sich andere Farbschichtungen zusammenfügen.
Der Klang und die Wirkung der Farbe sind das Thema in der Malerei von Margret Roters. Will man kunsthistorische Einordnungskategorien bemühen, so handelt es sich bei ihren Arbeiten um Farbfeldmalerei im weitesten Sinn – ein Gestaltungsprinzip, das sich in den 60er Jahren unseres Jahrhunderts entwickelt hat und als deren bedeutendste Repräsentanten Josef Albers, Marc Rothko, Barnett Newman, Ad Reinhard und Yves Klein gelten.

Was hat alle diese Künstler bewogen, Farbe allein zum Thema in der Malerei zu machen? „Farben sind Strahlungskräfte, Energien, die auf uns in positiver oder negativer Weise einwirken, ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht“, so schreibt der Maler Johannes Itten in seinem kunstpädagogischen Standardwerk „Kunst der Farbe“. Der Maler Raimer Jochims empfindet Farben als „elementare Kräfte“, und Josef Albers betrachtet Farbe nicht in erster Linie als physikalische Angelegenheit, sondern als ein „psychologisches Phänomen“: „Wir sehen Farben nicht so, wie sie sind“, heißt es in seinem Buch „Interaction of Color“.

Denn Farbe tritt in Bezug zu uns, ihren Betrachtern, und sie agiert in einem räumlichen, kulturhistorischen, entwicklungsgeschichtlichen Kontext. Sie berührt auf der Ebene der Emotionalität unsere gesamte menschliche Existenz. Die Wirkungsweise der Farbe wird identisch mit der Wirkung des Kunstwerks. Botho Strauß hat in seinem Buch „Der junge Mann“ dieses Berührtwerden jenseits der Bewusstheit mit großem Einfühlungsvermögen beschrieben: „… Ich fuhr an einem regnerischen Sommertag, einem Mittwoch, den ich mir freigenommen hatte, zum Einkauf nach Düsseldorf. Schon bei der Einfahrt waren mir die rostroten Plakate aufgefallen, die überall an den Lampenmasten befestigt waren. Sie luden zu einer Ausstellung amerikanischer Malerei …“
Zuerst glaubte ich, es müsse sich um irgendetwas Exotisches, vielleicht gar um Indianerkunst handeln. Ich wurde jetzt sehr neugierig und war schon ganz abgelenkt und beiseite genommen durch das verwirrende, aufsässige Rotbrummen auf dem Plakat … Wenig später beschritt ich die breite Steintreppe, die zum Eingang der Kunsthalle führte … Hier hingen gar nicht die Bilder, die ich erwartet hatte. Es waren eigentlich überhaupt keine Bilder, auf denen man etwas Schönes, etwas Menschenförmiges in seiner besten Gestalt hätte erblicken können. Ich erkannte nur breite, eintönige Farbfelder oder wirres Liniengestrüpp oder strenge bunte Streifen. Dies war nun die abstrakte Malerei, mit der ich bis dahin kaum in Berührung gekommen war …

Ohne es recht zu merken, jedoch nicht ganz zufällig hatte ich gerade vor dem dunkelsten und mächtigsten Werk der Sammlung halt gemacht und mich niedergelassen … Wie erschrak ich nun aber, als ich den Kopf erhob und plötzlich vor mir sein ganzer massiver Farb-Körper sich aufrichtete … Beinahe die ganze Leinwand wurde beherrscht von einer breiten, kelchförmigen Aufwehung, moosgrün, erdbraun und an einer Stelle feuerrot. Ein dunkler Überschwang, eine nach oben geworfene Existenz, die Fontäne einer einzigartigen Energieentladung mit einem Tanz von bunten Flammen auf dem Kamm …“
Diese Energieentladung der Farbe, von der Botho Strauß spricht, bringen die Künstler der Farbfeldmalerei mit höchst unterschiedlichen Methoden zur Entfaltung. Josef Albers etwa setzt Farben von einer Tonalität – z. B. verschiedene Abstufungen des Gelb – in Kontrast zueinander und vermittelt uns damit die Erfahrung der Tiefenräumlichkeit, verursacht durch Relationen der Farbintensitäten zueinander. Die Farbmaterie ist dabei gleichgültig, ganz im Gegensatz zu Yves Klein, der in der Suche nach einer ganz bestimmten Materialität und Substanz gerade diese Eigenschaft aufzuheben bestrebt ist. Allein aus diesem Vergleich wird deutlich, dass Farbe auf verschiedenen Ebenen agiert. Farbe ist Materie, sie hat Eigenschaften, sie zeigt Wirkung und sie folgt einem Bedeutungskanon.

Zunächst einmal ist sie Material, Farbstoff, Pigment, Substanzfarbe. Bei Margret Roters sind diese Materialien (Dispersion, Pigment, Öl) schon mit den Eigenschaften der Farbe verbunden. Eigenschaften lassen sich beschreiben mit stumpf, matt, glänzend, glatt, rauh, dunkel, hell, leuchtend, ausgewogen, kalt oder warm, und diese Begriffe haben Bezug zu der Methode, die Margret Roters praktiziert. Auf glatten Flächen (zumeist Papier) werden zunächst dunkle, stumpfe Farben aufgebracht, die von helleren, leuchtenderen, glänzenderen Flächen überdeckt, aber nicht verdeckt werden. Das Stumpfe, Dunkle, Matte, Graphische, Strukturelle schlägt durch, die Oberfläche aber definiert den ersten Eindruck: die Primärfarben Rot, Blau, Gelb, das von zarten Farben aufgebrochene Weiß, den Glanz, das Leuchten.

Farben sind aber auch Bedeutungen zugeordnet. Deutlich wird dies in der katholischen Liturgie und der Zuordnung von Farben zu kirchlichen Festen. In Asien, in islamischen Ländern oder in Europa kennen wir unterschiedIiche Bedeutungsbelegungen der Farben. Es gibt also keine objektive Bedeutung, sondern kulturgeschichtliche Kontexte, die die Wahrnehmung beeinflussen. Jemand, der in unseren Breitengraden lebt, wird mit der Farbe Gelb eine andere emotionale Verbindung haben als ein Chinese. Denn Farben, die sich mit Bedeutungen verbinden, berühren auch unsere Emotionen. Unser Unbewusstes trägt mit sich den ursprünglichen Kontext, der sich mit Farben verbindet, und unsere Reaktionsweise auf Farben hat auch mit dieser unbewussten Erinnerung zu tun. Deshalb wird keiner der Betrachter auf ein Werk der abstrakten Kunst gleich wie der andere reagieren. Da gibt es keine falsche oder richtige Reaktion, sondern nur die jeweils selbst erlebte.
Farben zeigen Wirkung. „Die Erfahrung lehrt uns“, schreibt Goethe, „dass die einzelnen Farben besondere Gemütsstimmungen geben … Diese einzelnen bedeutenden Wirkungen vollkommen zu empfinden muss man das Auge ganz mit einer Farbe umgeben … Man identifiziert sich alsdann mit der Farbe.“

Das Kunstwerk will uns auffordern zur Auseinandersetzung, zur Beschäftigung mit ihm. Das Werk will uns berühren, und es tut es durch die Energie der Farbe, die, physikalisch gesehen, als Ausdruck des Lichts seine Brechung, Welle und Strahlung zugleich ist. Wie kommt nun diese Strahlung der Farbe zu höchst unterschiedlichen Wirkungen? Mark Rothko zum Beispiel lässt an den Rändern die Farbe unkontouriert auslaufen und verdichtet sie zur Bildmitte hin. Das Ergebnis ist, dass der Betrachter sich in Relation zum Bild nicht mehr orten kann. Er wird gleichsam in die Bildmitte hineingesogen.

Auch für Margret Roters ist der Rand wichtig. Allerdings anders als für Rothko. Sie arbeitet zunächst auf Papier, das auf Holz oder Leinwand aufgebracht wird. Der oftmals nicht ganz glatte Rand wird nun aber nicht geglättet oder beigearbeitet, um die Struktur des „All over“ von Rand zu Rand deutlich zu machen. Vielmehr bleibt häufig der etwas undefinierte Rand stehen, er bietet den Zugang zur gesamten Fläche, über den Rand schleicht sich der Betrachter ein, bis er von der gesamten Fläche absorbiert ist. Diese Fläche ist nun aber nicht homogen, glatt, einfarbig, sondern da schlagen Farben oder Strukturen oder grafische Elemente aus dem Grund durch. Dadurch erhält man eine andere Art von Tiefe als etwa von Barnett Newman, dessen Bildzyklus „Who is afraid of Red, Yellow and Blue“ auf den ersten Blick nichts als Rand füllende Farbstreifen von unterschiedlicher Breite aufzuweisen scheint. Lässt man sich aber auf den Farbkörper ein, der in vielen kleinen Punkten und Modulierungen eines Tones dicht übereinander in vielen Lagen aufgetragen ist, erfährt man die nach vorne drängende Gewalt des Rot, die leichtere Berührung durch das Gelb und die beruhigende Kraft des Blau.

Farbe ist also viel mehr, als sie auf den ersten Blick zu sein scheint, und die Künstler bringen auf höchst unterschiedliche Weisen die ihr innewohnende Energie zum Ausdruck. „Das Bild muss mir“, so Margret Roters, „die Energie wieder zurückgeben, die ich hinein gebe“. Die Farbe, das Werk wandelt also die Energie um. Wenn die Malerin die Hand über die Leinwand führt, bildet sie neue Sinneswahrnehmungen aus, fordert sie neue geistige Fähigkeiten, die geeignet sind, das wahrzunehmen, was sich bis dahin dem Auge entzogen hat. Damit ist, so der Kunsthistoriker Michael Bockemühl, „ein Weg von der Naturbetrachtung zur Betrachtung der Kunst eröffnet, das Wesen der Farbe in seiner Offenbarung durch die Kunst zu gewahren.“

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