Katja Schlenker
Zu den Bildern von Margret Roters
Vortrag zur Eröffnung der Ausstellung „Parallaxe“
am 11. Juli 2010
Industriedenkmal Kokerei Hansa, Dortmund
Öl auf Leinwand
Als ich das erste Mal das Düsseldorfer Atelier von Margret Roters betrat, sprengten die großen Formate und ihre eigenwillige Farbigkeit geradezu den räumlich begrenzten Raum. Große Leinwände belagerten den Boden, andere waren für den Malprozess flächendeckend an die Wand gespannt. Nicht nur die materielle Größe, sondern auch die raumgreifenden energetischen Farb-, Flächen- und Strukturfelder boten keine Möglichkeit des Ausweichens und Zurückziehens, sondern forderten geradezu ein, sich in die Materie hineinzustürzen und den Dialog zu beginnen.
Heute, hier in der Maschinenhalle stehend, sehe ich, dass die Bilder nichts von ihrer Kraft und Eigenständigkeit verloren hoben. Die Befürchtung, dass die skulpturale Wucht der Maschinen und die Aura ihrer Vergangenheit durch zweidimensionale, nichtfigurative Malerei unbezwingbar wären, bestätigt sich – wie erwartet – nicht. Die Bilder kommunizieren trotz ihrer Endgültigkeit unbeirrbar weiter, untereinander, mit den Betrachtern und mit dem historischen Bauwerk, mal meditativ beruhigend, mal bewegend, vereinnahmend. Durch die bewusste Inszenierung oder Choreografie der Arbeiten im Raum ergibt sich ein Spiel gleichstarker Partner.
Den Auftakt geben die zwei großen Formate in Rot und in Blau, den Abschluss das hohe Längsformat in Rot. Dazwischen findet eine rege Korrespondenz der Bilder in den begehbaren Gängen statt. Die Bilder werden zur Farbskulptur, die skulpturalen Maschinen zu Bildelementen.
Sehen wir uns um:
Verschiedene Standpunkte in der Maschinenhalle, die Formen von Kranbahnen und Schwungrädern lassen die Motive vergrößert oder verkleinert erscheinen, zerlegen und verwandeln, lassen ihre Strahlungskraft schrumpfen oder wachsen. Manche Maschinenteile wirken bildübergreifend, schaffen Rahmen oder Hohlräume, Durchlässe, Öffnungen, Sperrungen, die sich überlagern und kreuzen, wie unsere Blicke. Proportionen und Relationen werden dekonstruiert. Das ist im wahrsten Sinne „Parallaxe“.
Fassen wir die einzelnen Bilder der Künstlerin näher ins Auge:
Margret Roters Bilder sind nicht-figurativ und von einer eigenwilligen Farbigkeit. Die Farbe als solche in ihrer ganzen Materialität und der Malvorgang an sich sind Gegenstand ihres künstlerischen Schaffens.
Was ist Farbe eigentlich?
Farbe ist mehr als nur materielle Schicht, mehr als grafischer Lack auf glattem Stoff. Farbe mag ein physisches, chemisches Substrat sein oder ein massiver Duft oder ein Hauch der Dinge oder eine atmosphärische Erscheinung. Sie kann Heilmittel sein oder einfach abstraktes Zeichen, ein Destillat oder verflüchtigte elektronisch-digitale Frequenz. Farbe ist Ritual, Markierung für Flächen und Grenzen, Anzeiger energetischer Zustände, astrophysikalischer Hintergrundteppich. Farbe ist ein Medium der Abstraktion, Täuschung, Simulation.
Farbe ist Mittel der puren Malerei.
„Rot und Blau malen kann jeder“, erklärte einst der große Meister des Informellen, Emil Schumacher, „aber was Malerei eigentlich ist, das zeigen die Zwischenbereiche, die nicht mehr als Farbe im üblichen Sinn bezeichnet werden können.“ Diese Zwischenbereiche sind in Margret Roters Arbeiten zu erkunden. Sie entstehen in einem langen Prozess, das Medium Malerei kommt ihr entgegen, denn Farbe trocknet langsam.
Die Künstlerin arbeitet in jedem Bild neu heraus, was denn ein Rot überhaupt ist, oder ein Blau. Die unteren Schichten sind leichte Dispersionsfarben, leichte Acryl-, Temperafarben, meist über die gesamte Fläche, dynamisch mit körperbetonten Gesten aufgetragen. Sie lässt das Pigment in aller Freiheit auf den Träger einwirken, den freien Fluss der Farbe sich niederlassen – wartet. Das Ergebnis zeigt, in welche Richtung sie weiter reagieren muss. Die Malerei verdichtet sich, oft wird sie sehr vielfarbig. Teilweise wird der Malprozess pastos mit Öl fortgesetzt, so lange, bis sich die gewünschte Farbwirkung tatsächlich einstellt. Das Medium Malerei, die Farbe gibt zunächst den Weg vor, die Künstlerin greift ein und verdichtet oder bricht Dichte auf, beginnt dann wieder von vorn, zerstört, stellt die Entwicklung in Frage.
Es ist eine Herausforderung, die großen Formate anzugehen, konsequent zu bearbeiten aus Nähe und Distanz. Das Zulassen und Einfangen von Verflüchtigungen, Eroberung und Verlassen von Flächen und Räumen. Das ständige in Frage Stellen gehört zum Arbeitsprozess der Künstlerin, das Herauskitzeln aller Möglichkeiten der Farbe.
Ihre Bilder sind keine vorgefertigten Kompositionen, man kann sagen, sie passieren einfach, durchlaufen Prozesse zwischen Zögern und Handeln, Unsicherheit und Entschiedenheit. Wo Farbe derart materiell gesehen wird, wird das Arbeiten zum Dialog zwischen dem Künstler und dem Bild. Das Malen ist für Margret Roters eine stetige Auseinandersetzung, ein beständiges Agieren und Reagieren. Das Ende des MaIprozesses liegt im Ermessen der Künstlerin. Sie arbeitet auf einen bestimmten Zeitpunkt hin, sie nennt es „dynamische Verdichtung“. Die Bilder gewinnen an Ruhe und Klarheit, Malschichten können untere Schichten durchscheinen lassen oder verdecken. Der Abschluss des Bildes kann ganz plötzlich da sein. Plötzlich hat es die Spannung, plötzlich ist ein Optimum an farblicher Energie aufgeladen. Die Bilder entwickeln ein von der Künstlerin unabhängiges raumbezogenes Eigenleben und lassen als sogenannter Farbkörper die aufgestaute Energie beziehungsweise Dynamik wirken.
Sehen wir genau hin:
Die randlos gehaltene offene “oll over”-Malerei strahlt auf uns und den Raum ab. Die Farbe Rot als beruhigendes Element dominiert. Auch wenn der Malerei von Margret Roters kein Konzept beziehungsweise keine konkreten Vorlagen zu Grunde liegen, entnimmt sie die Motive – in diesem Fall die Farbe – aus ihrem persönlichen Erinnerungsspeicher und sensiblen Farbempfinden. Die Farbe Rot, die immer wieder kehrt, seit sie bei Arbeitsaufenthalten in Russland die Farben in dortigen Museen und Kirchen erlebte. Hier hat sie vor allem die Farbe Rot tief in ihren Bann gezogen, das Rot auf den Ikonen und russischen Malereien des 19. und 20. Jahrhunderts. Seit einem Künstleraustausch 1991 in Russland wurde die Farbe Rot dann in ihrer Malerei dominierend. Rot strahlt, ist Leben und positiv. Eine Vielzahl von Rottönen harmoniert und ermöglicht so große Variationsmöglichkeiten.
Für jede Farbe sucht Margret Roters die richtige Aussage. Jede Farbe braucht einen anderen Umgang, anderen Farbauftrag, eventuell ein anderes Format. Wenn ich anfangs sagte, Margret Roters Malerei sei nicht-figurativ, so stimmt das nur für das Endergebnis, für das fertige Bild. Der Gegenstand interessiert sie wirklich nicht, sie sucht neue Realitäten, die noch nicht da sind, und einen neuen Raum mit einer klaren neuen Aussage.
Deswegen überlagert sie figurative Elemente, lässt sie verschwinden, wenn sie sich im Malprozess einstellen. Die Materialität, die Strukturbildungen und Farbwirkungen sind so präsent, dominant, intensiv, dicht und eigensinnig, dass jedes Figurative und Gegenständliche stört. Die Bilder haben keinen Titel und sind auch dahingehend völlig unbelastet. Die Aussage ist stark. In jedem Bild liegt vor uns ein offener Raum, der große Freiheit in der Wahrnehmung möglich macht. Es gibt keine vorgefertigten Erzählstränge, nur offenen Farbraum für Konzentration, Sammlung und bewusstes Wahrnehmen.